LS6.2 Ausgleich der thermischen Expansion und Kontraktion
Vorwort[1]
Der Gussvorgang besteht aus mehreren Schritten. Zuerst wird die Gusshohlform, auch Gussmuffel genannt, langsam und gleichmäßig auf die gewünschte Vorwärmtemperatur erhitzt. Diese Temperatur hängt hauptsächlich von der Einbettmasse ab, da deren Ausdehnungswerte direkt von der Temperatur beeinflusst werden. Die Vorwärmtemperatur des Gussmetalls spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Hersteller stellen sicher, dass die Vorwärmtemperaturen der Einbettmassen so abgestimmt sind, dass sie mit den üblichen Gusslegierungen kompatibel sind und keine Unterschiede zwischen der Ausdehnungs- und Vorwärmtemperatur auftreten.
Zahntechnische Gussverfahren sind nicht für das Gießen in unterkühlte Formen geeignet. Aufgrund der filigranen und dünnwandigen Natur der dentalen Gussobjekte lassen sich die Schwindungen nicht präzise berechnen, und die Form kann nicht so gestaltet werden, dass Abkühlung und Schrumpfung wie bei industriellen Verfahren kontrolliert werden können.
Wird die Vorwärmtemperatur zu hoch gewählt, dehnt sich der Gusshohlraum zu stark aus, was dazu führt, dass das fertige Gussobjekt zu groß wird. Zudem verzögert die überschüssige Wärme die Abkühlung und Erstarrung des Gussmetalls, was ein grobkörniges Gefüge zur Folge hat.
Ist die Vorwärmtemperatur hingegen zu niedrig, bleibt das Gussobjekt zu klein, da der Gusshohlraum nicht ausreichend expandiert. Dies kann auch zu einem Fehlguss führen, bei dem das Gussobjekt in den Randbereichen oder in sehr dünnen Teilen nicht vollständig ausgefüllt wird.
Kontraktion einer Legierung unterhalb des Soliduspunktes
Wir wissen bereits, dass Legierungen sich bei Wärme ausdehnen. Man sagt dazu auch Wärmeausdehnung oder thermische Expansion. Wenn sich die Legierungen wieder abkühlen, ziehen sie sich zusammen. Man sagt dazu auch Wärmeschrumpfung oder thermische Kontraktion.
Diese thermische Expansion und Kontraktion gilt für alle Stoffe. Jedoch expandieren und kontrahieren unterschiedliche Werkstoffe unterschiedlich stark. Beim Gießen erhitzen wir die Muffel, den feuerfesten Vlies, die Einbettmasse und die Legierung, 4 Werkstoffe mit vier unterschiedlichen Wärmeausdehnungen und Wärmeschrumpfungen.
Wenn Legierungen vollständig fest(also unterhalb der Solidustemperatur bis zur Raumtemperatur) weiter abkühlen erfolgt die thermische Kontraktion (auch Wärmeschrumpfung). Dabei verringert sich das Volumen um ca. 1,6 % bei Goldguss- und 2,2% bei Modellgusslegierungen (s. Abbildung rechts). Da die Legierung beim Gießen zunächst größer ist als die Legierung später auf Raumtemperatur sein soll, muss die Gussform diese Expansion/Ausdehnung ausgleichen. Die Gussform aus Einbettmasse muss also etwas während der Verarbeitung bzw. Verwendung expandieren, um die thermische Kontraktion der Legierung auszugleichen.
Die benötigte Expansion der Einbettmasse erfolgt in 2 Schritten, die Abbindeexpansion und die thermische Expansion.
Abbindeexpansion der Einbettmasse
Abbindeexpansion ist die Expansion (Ausdehnung) durch das Abbinden (Aushärten/Erstarren) der Einbettmasse. Einbettmasse expandiert während des Abbindevorgangs. Die Abbindeexpansion unterscheidet sich je nach verwendetem Bindemittel. Bindemittel binden Stoffe zusammen, sie verbinden sie.
- Bindemittel
- Gips (nur bei Vollguss)
- Phosphat
Arbeitsauftrag Lesen Sie jetzt folgende zwei Informationen:
Die Expansion hängt neben der Auswahl des Bindemittels von folgenden Faktoren ab:
- Verhältnis von Wasser zu Anmischflüssigkeit (nur bei phosphatgebundenen Einbettmassen)
- Dicke des Muffelvlieses (Die Einbettmasse soll in alle Richtungen expandieren. Wenn Sie bei zu dünnen Vlies nicht in Richtung Vließ/Muffelring expandieren kann, muss sie in Längsrichtung expandieren)
- Einhalten der vorgegebenen Abbindezeiten
- Verwendung eines Drucktopfes (?)
Die Anmischflüssigkeit bei phosphatgebundenen Einbettmassen ist eine Lösung von Kieselsol, also ein kollodiales (gelartiges) Siliziumhydroxid. Es geliert und kristallisiert an den Kristallen der feuerfesten Bestandteile Quarz und Cristobalit in der Einbettmassemischung. Es sorgt so für eine etwas höhere Expansion.
Die thermische Expansion der Einbettmasse
Die Versuche zur Abbindeexpansion von Einbettmasse haben gezeigt, dass diese Expansion nicht ausreicht, um die thermische Kontraktion des Gussobjektes zwischen Soliduspunkt und Raumtemperatur auszugleichen. Es muss also noch eine weitere Expansion der Einbettmasse stattfinden!
Es handelt sich dabei um die so genannte thermische Expansion!
Sie ist zurückzuführen auf die Zusammensetzung der Einbettmasse:
- Feuerfeste Bestandteile
- Quarz
- Cristobalit
- Tridymit
Bestandteil | Umwandlungsvorgang | Temperaturbereich | Volumenänderung |
---|---|---|---|
Tridymit | β-Tridymit zu β-Christobalit | 1470 °C | + 4,7 % |
Quarz | β-Quarz zu β-Christobalit | 1000 - 1450 °C | + 11,7 % |
Quarz | β-Quarz zu β-Tridymit | 870 °C | + 12,7 % |
Quarz | α-Quarz zu β-Quarz | 575 °C | + 2,4 % |
Cristobalit | α-Cristobalit zu β-Cristobalit | 270 °C | + 5,6 % |
Tridymit | α-Tridymit zu β-Tridymit | 117 °C | + 0,6 % |
Die feuerfesten Bestandteile der Einbettmasse sorgen für eine Expansion der Einbettmasse bei Erwärmung. Tridymit und Cristobalit sind (Hochtemperatur-)Modifikationen von Quarz (SiO2). Sie ändern/wandeln, je nach Temperatur, ihren kristallinen Aufbau und damit auch ihr Volumen. Diese Umwandlung geschieht bei bestimmten Temperaturen recht zügig! Tridymit wird, im Gegensatz zu Critobalit und Quarz, nur in kleinen Mengen verwendet.
Die thermische Umwandlung von Quarz und seinen Modifikationen hängt mit der Anordung der Atome zusammen. Die Umwandlung von α-Quarz in β-Quarz (Tiefquarz in Hochquarz), ist mit einer Änderung des Bindungswinkels der SiO2-Moleküle von 144° auf 147° verbunden.
Arbeitsauftrag
Die thermische Umwandlung (und damit Expansion) der verschiedenen Quarz-Modifikationen findet bei den in der Grafik dargestellten Temperaturen statt. Bei welchen, zahntechnisch gesehen, relevanten Temperaturen, finden Umwandlungsprozesse der Quarz-Modifikationen Quarz, Tridymit und Cristobalit statt und wie hoch ist die jeweilige Expansion in diesem Temperaturbereich? Was bedeutet das für das Vorwärmen der Einbettmasseformen?
Lies dir nun die Verarbeitungsanleitungen für die Einbettmassen durch und vergleiche die Haltetemperaturen mit den Umwandlungsvorgängen.
Verarbeitungsanleitung phosphatgebundene Einbettmasse: findest du hier
Verarbeitungsanleitung Gipsgeundene Einbettmasse: hier
Ergänzende Informationen für Interessierte
Zum Thema Einbettmasse gibt es auch einen großen Artikel in der Wikipedia.
- ↑ HH